RWTH Aachen            Institut für Politische Wissenschaft

Discussion Paper
No. 1

Eine Lücke im Völkerrecht? Anmerkungen zur Legalität der US-Intervention im Irak im März 2003

von Ralph Rotte

März 2003

http://www.ipw.rwth-aachen.de/for_paper.html

ISSN 1862-8079

My learned lord, we pray you to proceed,
and justly and religiously unfold
why the law Salic that they have in France
Or should or should not bar us in our claim:
And God forbid, my dear and faithful lord,
That you should fashion, wrest, or bow your reading,
Or nicely charge your understanding soul
With opening titles miscreate, whose right
Suits not in native colours with the truth:
For God doth know how many now in health
Shall drop their blood in approbation
Of what your reverence shall incite us to.

William Shakespeare, King Henry V, I/2



Am 20. März 2003 starteten Streitkräfte der Vereinigten Staaten mit Unterstützung verschiedener Staaten, insbesondere des Vereinigten Königreiches und Australiens, trotz weltweiter Proteste und des Widerstandes der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten im UN-Sicherheitsrates ihre massive militärische Intervention, um nach eigener Aussage das Regime Saddam Husseins zu stürzen und damit die Bedrohung der regionalen und globalen Sicherheit durch irakische Massenvernichtungsmittel zu beseitigen. Sowohl in der europäischen Öffentlichkeit wie von Seiten politischer Entscheidungsträger ist dieses Verhalten der US-amerikanischen und britischen Regierung massiv verurteilt und weitgehend als völkerrechtswidrig bezeichnet worden. Im Folgenden werden zusammenfassend einige Aspekte hinsichtlich der Völkerrechtskonformität oder -inkonformität des Angriffs auf den Irak beleuchtet, die sowohl aus der Perspektive der Völkerrechtstheorie wie auch der Internationalen Beziehungen von Bedeutung sind.

1. Das völkerrechtliche Problem und die deutsche Position. Der Tatbestand der US-amerikanisch-britischen Militäraktionen gegen den Irak ist natürlich eindeutig. Sofern diese gewaltsame Intervention jedoch tatsächlich ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ist, bedeutet sie nicht nur, daß sich die USA und das Vereinigte Königreich als Aggressoren außerhalb der Rechtsordnung der Vereinten Nationen gestellt haben, sondern etwa für die Bundesrepublik, daß jegliche Unterstützung dieser Aktionen zu rechtlichen Problemen im Hinblick auf das Grundgesetz und internationale Verpflichtungen Deutschlands führen würden. Hierzu würden auch beispielsweise die Gewährung von Überflugrechten oder indirekte Hilfsmaßnahmen wie die Mitwirkung an AWACS-Aufklärungsflügen oder die Übernahme von militärischen Funktionen zur Freisetzung US-amerikanischer Kräfte für den Krieg zählen. Schließlich hätte die Bundesregierung bzw. Deutschland in einem solchen Fall gegen Art. 25 und 26 (1) GG (Völkerrechtskonformität bzw. Verbot eines Angriffskrieges) sowie gegen Art. 2 SVN und Art. 2 2+4-Vertrag verstoßen. Gemäß Art. 26 (1) GG hätte sich die Bundesregierung möglicherweise sogar wegen verfassungswidrigen Verhaltens strafbar gemacht, selbst wenn die Umsetzung des Grundgesetzartikels im StGB unvollständig sein mag.

Art. 2 (4) SVN besagt, daß "all members shall refrain in their international relations from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any state, or in any other manner inconsistent with the Purposes of the United Nations". In Art. 2 des Vertrages zur abschließenden Regelung in bezug auf Deutschland (2+4-Vertrag) heißt es, daß "von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Nach der Verfassung des vereinten Deutschland sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und strafbar."

Art. 2 2+4-Vertrag ist nicht zuletzt deshalb besonders pikant, weil dadurch gegenüber den ehemaligen Siegermächten des Zweiten Weltkrieges, also auch gegenüber den Vereinigten Staaten die Völkerrechtskonformität und das Friedensgebot deutscher Außenpolitik nochmals besonders betont werden sollte. Die Unterstützung der USA bei völkerrechtswidrigem Einsatz militärischer Gewalt würde damit nicht nur gegen das deutsche Verfassungsrecht und die Prinzipien der Vereinten Nationen verletzen, sondern auch eine vertragliche Verpflichtung, die Deutschland auch gegenüber den USA eingegangen ist.

2. Zwei Teilfragen. Bei der Behandlung der völkerrechtlichen Aspekte der Irak-Intervention sind zwei grundsätzliche Fragestellungen zu unterscheiden. Erstens ist zu klären, ob und inwieweit die Gewaltanwendung gegen den Irak zum jetzigen Zeitpunkt und unter den gegenwärtigen Umständen völkerrechtlich legitimiert werden kann. Sollte dies möglich sein - und aus Sicht der USA und ihrer "Koalition der Willigen" war der Angriff legal -, stellt sich zweitens das Problem, wie weit die Militärintervention gehen darf. Endet ihre wie auch immer behauptete Legalität mit der Beseitigung der etwaig vorhandenen ABC-Waffen und ihrer Produktionsanlagen und Vorprodukte oder erstreckt sich die rechtliche Legitimierbarkeit auch auf den Sturz des Regimes Saddam Husseins und die Installation einer demokratischen bzw. pro-amerikanischen oder pro-westlichen neuen Regierung?

3. Legale Gewaltanwendung nach UN-Charta. Betrachtet man zunächst die erste Frage, so sind die vier grundsätzlichen Ausnahmen von generellen Gewaltanwendungsverbot des gegenwärtigen Völkerrechts relevant. Hierzu gehört zunächst das quasi "natürliche" Recht der Staaten auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung, wie es in Art. 51 SVN festgelegt ist: "Nothing in the present Charter shall impair the inherent right of individual or collective self-defence if an armed attack occurs against a Member of the United Nations, until the Security Council has taken measures necessary to maintain international peace and security."

Zweitens sind Gewaltmaßnahmen völkerrechtlich legal, die der UN-Sicherheitsrat, insbesondere (jedoch nicht notwendigerweise) nach dem Scheitern nichtmilitärischer Druckmittel gemäß Art. 41 SVN, zur Bewahrung und Wiederherstellung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit unter Kapitel VII der UN-Charta autorisiert: "Should the Security Council consider that measures provided for in Article 41 would be inadequate or have proved to be inadequate, it may take such action by air, sea, or land forces as may be necessary to maintain or restore international peace and security" (Art. 42 SVN). Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die bislang vorliegenden Beispiele der Legitimierung von Gewaltanwendung durch den Sicherheitsrat, nämlich im Koreakrieg 1950 und im Zweiten Golfkrieg 1991 nur Hilfskonstruktionen sind, die den ursprünglichen Intentionen der UN-Charta keineswegs entsprechen. Denn hier überließ der Sicherheitsrat durch die Ermächtigung der Staaten, "alle notwendigen Mittel" zur Friedenswiederherstellung anzuwenden, den UN-Mitgliedern die Entscheidung über den Militäreinsatz gegen einen Aggressor, während Art. 42 SVN eigentlich dessen Leitung durch den Sicherheitsrat vorsieht. Voraussetzung hierfür wäre natürlich die direkte Verfügung der Vereinten Nationen über Streitkräfte der Mitgliedsstaaten gemäß Art. 43 SVN, die jedoch bis heute nicht gegeben ist (Bothe, 1997: 600ff. und dortige Verweise.).

Die dritte Möglichkeit legaler Anwendung militärischer Gewalt besteht auf der Basis regionaler Organisationen "for dealing with such matters relating to the maintenance of international peace and security as are appropriate for regional action provided that such arrangements or agencies and their activities are consistent with the Purposes and Principles of the United Nations" (Art. 52 (1) SVN). Voraussetzung hierfür ist jedoch die Autorisierung durch den Sicherheitsrat (Art. 53 (1) SVN).

Die vierte Möglichkeit, die formal noch immer Bestandteil der UN-Charta ist, nämlich die Ausnahme vom Gewaltanwendungsverbot für Staaten, die während des Zweiten Weltkrieges Gegner eines Mitgliedes der Vereinten Nationen waren ("Feindstaatenklausel" nach Art. 53 und 107 SVN), ist seit dem Beitritt Japans und der deutschen Staaten zu den Vereinten Nationen überholt und spätestens seit der Beendigung der Vier-Mächte-Rechte bezüglich Berlin und Deutschland als Ganzes durch Art. 7 2+4-Vertrag auch formaljuristisch gegenstandslos.

4. Offensichtlich unzutreffene Legalitätsgründe. In bezug auf die Irak-Intervention können zwei dieser vier Möglichkeiten legaler internationaler Gewaltanwendung von vornherein ausgeschlossen werden. Die Feindstaatenklausel kommt formal und inhaltlich nicht in Frage. Eine Maßnahme einer regionalen Sicherheitsorganisation liegt ebenfalls nicht vor.

5. Präventive Selbstverteidigung? Nachdem die US-amerikanisch-britisch-australische Invasion des Irak keine Antwort auf einen vorher erfolgten Angriff irakischer Streitkräfte auf einen der drei Staaten war, handelt es sich dabei auch nicht um eine unmittelbar durch Art. 51 SVN legitimierte Selbstverteidigungsmaßnahme. Sofern der Irak in der Perzeption der Regierungen der Interventionsstaaten jedoch eine Bedrohung der nationalen Sicherheit darstellte, ergibt sich die Frage, inwieweit es sich um einen völkerrechtlich akzeptablen Fall von "präventiver Selbstverteidigung", also einen legalen Präventivkrieg handelt.

Das traditionelle Völkerrecht kennt als legitimierende Bedingungen einer präventiven Militäraktion drei Elemente, die aus dem "Caroline-Fall" von 1837 abgeleitet und in einem diplomatischen Briefwechsel zwischen den USA und Großbritannien festgelegt wurden: Voraussetzung für einen präventiven Angriff sind danach "necessity of self-defence, instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment of deliberation", also die Unmittelbarkeit eines bevorstehenden Angriffs, sein überwältigender Charakter (der ein Zuwarten sozusagen selbstmörderisch machen würde) und der Mangel an alternativen Reaktionsmöglichkeiten für das (potentielle) Opfer. Die historische Referenz ist die Kaperung des Dampfers Caroline mit irregulären kanadischen Guerilleros durch britische Streitkräfte auf US-amerikanischem Territorium im Rahmen der Niederschlagung einer antibritischen Rebellion in Kanada (Byers, 2002). Entsprechend dieser durchaus restriktiven Kriterien wurde der Angriff Israels auf Ägypten, Syrien und Jordanien in Juni 1967 nicht als Völkerrechtsbruch angesehen, sondern vom Sicherheitsrat und von der überwiegenden Staatengemeinschaft als Akt der Notwehr akzeptiert.

Für den Angriff der USA auf den Irak im März 2003 gelten diese Kriterien jedoch offenbar nicht. Selbst die Arbeit des Irak an ABC-Waffen bzw. seine Verfügung über biologische und chemische Waffen, wie von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten behauptet, konstituiert trotz der Erfahrungen des Zweiten Golfkrieges 1990/91 noch keine direkte Bedrohung der USA oder anderer Staaten. Diese hatten also gemäß der traditionellen völkerrechtlichen Präventivkriegs-regularien keine legale Basis für eine militärische Invasion zur Entwaffnung des Irak.

Bereits die US-amerikanische Militärintervention in Afghanistan 2001 ist aus rechtlicher Sicht durchaus problematisch, obwohl sie vor dem Hintergrund des 11. September 2001 politisch international weitgehend akzeptiert wurde. Denn selbst die bloße Duldung terroristischer Gruppen auf dem Territorium eines Staates und auch deren unspezifische Unterstützung können nach traditionellem Völkerrecht nicht als Angriff mit dem entsprechenden Recht zur Selbstverteidigung gemäß UN-Charta interpretiert werden (Blumenwitz, 2002: 102ff.). Selbst wenn die US-amerikanischen Militäraktionen in Afghanistan jedoch im Rahmen einer durch Völker-gewohnheitsrecht erweiterten Interpretation des Selbstverteidigungsrechts akzeptiert wird (Falk, 2002), ist hierin keine relevante Parallele zum Irak zu sehen. Denn während eine direkte Unterstützung der Attentäter von 11. September durch das damalige Taliban-Regime in Afghanistan noch unmittelbar einleuchten mag, bleibt sie im Falle des Irak, beispielsweise aufgrund des antireligiösen, antifundamentalistischen Charakters des Baath-Regimes noch nachzuweisen. Selbstverteidigung auf einen erfolgten oder unmittelbar drohenden direkten (!) Angriff als Legitimationsgrund für einen Angriff auf den Irak entfällt damit nach herkömmlicher Lesart (Crawford, 2003).

6. Präventivkrieg und Massenvernichtungsmittel. Ein grundsätzliches Problem des traditionellen weitgehenden Präventivkriegsverbotes im Völkerrecht ist jedoch, daß es möglicherweise dem speziellen Problem moderner Massen-vernichtungsmittel nicht gerecht wird. Rechtliche Voraussetzung für einen legalen Präventivkrieg ist die unmittelbare militärische Bedrohung des vorsorglich Angreifenden, idealiter der eindeutige massive militärische Aufmarsch des Gegners an seinen Grenzen, etwa nach dem Muster der arabischen Mobilisierung und Kriegsplanung gegen Israel im Frühjahr 1967. Ein legaler Präventivkrieg setzt damit faktisch den erfolgten oder kurz bevorstehenden Abschluß der militärischen Vorbereitungen, also auch der Rüstung des Gegners voraus. Während dies im Fall konventioneller Bedrohungen durchaus nachvollziehbar ist, stellt sich im Fall von atomaren, biologischen und chemischen Waffen die Frage, ob es vertretbar ist, ein potentielles Opfer nach dem bisherigen Völkerrecht davon abzuhalten, sich zur Wehr zu setzen, bis es sich unmittelbar einem bevorstehenden ABC-Angriff ausgesetzt sieht. Hier kollidiert das Präventivkriegsverbot mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, denn es ist offensichtlich, daß ein präventiver Angriff zur Verhinderung von ABC-Rüstung unter normalen Umständen weniger Opfer und Kosten verursachen wird als ein unter den Bedingungen eines nuklearen, biologischen oder chemischen Krieges ausgefochtener Krieg zur Beendigung einer direkten Bedrohung durch Massenvernichtungsmittel.

Diesen Gedanken hat der australische Premierminister Howard im Februar 2003 unter den Bedingungen nach dem 11. September 2001 und des internationalen Kampfes gegen den Terrorismus folgendermaßen formuliert: "At the heart of this debate must be a recognition of the threat posed to the security of the world through the progressive break down of the international covenants against proliferation of nuclear weapons and the spread of chemical and biological weapons. (...) The ultimate nightmare for us all must be that weapons of mass destruction fall into the hands of terrorists. The more the world leaves unchecked either the possession of such weapons by rogue states or the spread of those weapons, the more likely it becomes that terrorists will acquire and use them. (...) This issue poses great and difficult choices (...). We all hate the very thought of war in any form. Our natural instinct is to recoil from it. The temptation to turn our backs on the problem and hope it will go away is great. Yet the realities of the world in which we now live do not permit us that luxury. We all know that history is replete with examples of the community of nations retreating from difficult decisions through fear of the immediate consequences only to find that those difficult decisions must ultimately be addressed and at an infinitely greater cost" (Howard, 2003).

Tatsächlich ist der Gedanke einer Lockerung der Bedingungen für einen legalen Präventivkrieg im Sinne eines solcherart erweiterten Selbst-verteidigungsrechts keineswegs neu, hat sich bislang jedoch nicht durchgesetzt. Im Juni 1981 verurteilte der UN-Sicherheitsrat den israelischen Luftangriff auf den irakischen Atomreaktor in Osirak am 7. Juni 1981, dessen Ziel die präventive Zerschlagung des irakischen Nuklearwaffenpotentials war, in der Resolution 487 als "danger to international peace and security created by the premeditated (...) attack" (SRRes. 487 (Präambel)) und "clear violation of the Charter of the United Nations and the norms of international conduct (SRRes. 487 (1)) und forderte Israel auf, "to refrain in the future from any such attacks or threats thereof" (SRRes. 487 (2)).

Eine zentrale Argumentationslinie der USA nach der Erfahrung des 11. September 2001 entspricht dieser, zum damaligen Zeitpunkt nicht akzeptierten israelischen Rechtfertigung auf den Osirak-Reaktor. Danach sind die Vereinigten Staaten zusammen mit Israel das am stärksten gefährdete potentielle Opfer eines (terroristischen) ABC-Waffeneinsatzes, woraus das Recht zur präventiven Beseitigung dieser Waffen, etwa im Irak, resultiere. Diese Sicht einer präventiven Selbstverteidigung ist nicht zuletzt die Grundlage der neuen US-amerikanischen Sicherheitsdoktrin, die für die USA explizit in Anspruch nimmt, daß "as a matter of common sense and self-defense, America will act against such emerging threats before they are fully formed" (The White House, 2002a: Vorwort). Dabei wird durchaus auf die Problematik einer gewissen Kollision mit dem traditionellen Präventivkriegsverbotes mit seinen rigiden Ausnahmebedingungen eingegangen; angesichts der neuen Bedrohungslagen kommt die US-Administration jedoch zu dem Schluß, daß "for centuries, international law recognized that nations need not suffer an attack before they can lawfully take action to defend themselves against forces that present an imminent danger of attack. Legal scholars and international jurists often conditioned the legitimacy of preemption on the existence of an imminent threat - most often a visible mobilization of armies, navies, and air forces preparing to attack. We must adapt the concept of imminent threat to the capabilities and objectives of today's adversaries. Rogue states and terrorists do not seek to attack us using conventional means. They know that such attacks would fail. Instead, they rely on acts of terror and, potentially, the use of weapons of mass destruction - weapons that can be easily concealed, delivered covertly, and used without warning. (...) The United States has long maintained the option of preemptive actions to counter a sufficient threat to our national security. The greater the threat, the greater is the risk of inaction - and the more compelling the case for taking anticipatory action to defend ourselves, even if uncertainty remains as to the time and place of the enemy's attack. To forestall or prevent such hostile acts by our adversaries, the United States will, if necessary, act preemptively. The United States will not use force in all cases to preempt emerging threats, nor should nations use preemption as a pretext for aggression. Yet in an age where the enemies of civilizatioin openly and actively seek the world's most destructive technologies, the United States cannot remain idle while dangers gather" (The White House, 2002a: 15). Die neue US- Doktrin zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen bestätigt lapidar: "We will not permit the world's most dangerous regimes and terrorists to threaten us with the world's most destructive weapons" (The White House, 2002b: 1).

7. ABC-Proliferation als sanktionswürdige Verletzung von erga-omnes-Verpflichtungen? Trotz der Verurteilung eines präventiven Militärschlages gegen eine mögliche zukünftige Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen durch den Sicherheitsrat 1981 stellt sich darüber hinaus die Frage, ob es angesichts des wachsenden Proliferationsproblems nach dem Kalten Krieg nicht eine gewisse Weiterentwicklung des Völkerrechts geben kann, die die Akquisition von ABC-Waffen aufgrund der grenzüberschreitenden, möglicherweise sogar globalen Konsequenzen ihres Einsatzes, als Bedrohung aller, auch der nicht direkt an einem Konflikt beteiligten Staaten interpretiert, welches zusammen mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit wiederum ein erweitertes Selbstverteidigungs- und Präventivkriegsrecht konstituieren könnte. Daß aus der Verletzung einer erga-omnes-Verpflichtung durch einen Staat ein militärisches Interventionsrecht abgeleitet werden könnte, wurde im Rahmen des NATO-Eingreifens im Kosovo 1999 unter Verweis auf das "Barcelona-Traction"-Urteil des Internationalen Gerichtshofes 1970 wiederholt behauptet (Thürer, 1999). Danach gibt es letztlich auf ius cogens (zwingendem Völkerrecht) beruhende Verpflichtungen der Staaten, an deren Beachtung und Durchsetzung alle Staaten ein rechtliches Interesse haben, wozu laut IGH das Verbot der Aggression, des Völkermordes, der Sklaverei und der Rassendiskriminierung sowie die Achtung grundlegender Menschenrechte gehören. Aufgrund der horrenden Konsequenzen eines Krieges mit ABC-Waffen liegt es nahe, die Vermeidung der Proliferation von Massenvernichtungsmitteln ebenfalls zu diesen erga-omnes-Verpflichtungen zu zählen. Strittig bleibt jedoch in der Völkerrechtsliteratur, inwieweit aus der mittlerweile allgemeinen Anerkennung des erga-omnes-Prinzips besondere Rechtsfolgen, wie etwa das hier angesprochene Recht zur militärischen Intervention bei Verstößen resultieren.

Akzeptiert man (etwa auf der Basis des Nichtverbreitungsvertrages sowie der B- und C-Waffen-Konventionen) einen erga-omnes-Charakter der Nonproliferation von Massenvernichtungsmitteln als grundsätzliche existentielle Bedrohung des Weltfriedens bzw. der Menschheit und folgt den Grundlinien der Argumentation der Vertreter einer "Durchsetzung der materiellen Wertordnung gegenüber der bloßen Sicherung des Status quo" (Thürer, 1999), so könnte es sich beim Angriff auf den Irak um eine völkerrechtlich legale Aktion handeln, die letztlich auf einer proliferationsbezogenen Weiterentwicklung des Völkerrechts beruht. Die USA als materiell einziger dazu fähiger Staat wären demnach als Handelnder im Interesse der Völkergemeinschaft bei der ABC-Abrüstung des Irak zu betrachten. In diesem Sinne wäre der Krieg also eine Art präventive Antwort gegen die Verletzung der erga-omnes-Verpflichtungen des Irak (nämlich, auf die Herstellung und den möglichen Einsatz von ABC-Waffen zu verzichten), die letztlich aus dem zwingenden völkerrechtlichen Grundsatz der Friedenspflicht und des Aggressionsverbotes abzuleiten wären.

Wie im Fall der präventiven individuellen und kollektiven Selbstverteidigung ergibt sich jedoch auch hier die grundsätzliche Schwierigkeit des glaubwürdigen, eindeutigen und durch die Völkergemeinschaft nachvollziehbaren Nachweises einer sich entwickelnden ABC-Bedrohung durch den Staat, gegen den Gewalt angewendet werden soll. Im Fall des Irak kollidierten die Behauptungen der USA und ihrer Partner mit der Einschätzung durch andere Mitglieder des Weltsicherheitsrates und letztlich auch der durch die UN-Waffeninspekteure, die in ihren Berichten vor dem 20. März 2003 zwar die unzureichende Kooperation des Irak bemängelten und verschiedene Verdachtsmomente in bezug auf biologische und chemische Waffenprogramme äußerten, jedoch keine klaren Nachweise für eine tatsächliche BC-Rüstung des Irak vorlegen konnten. Darüber hinaus stellt sich schon aufgrund des Prinzips der Verhältnismäßigkeit die Frage, inwieweit vor dem Rückgriff auf militärische Gewaltanwendung als ultima ratio der Gewährleistung internationaler Sicherheit tatsächlich alle alternativen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Hier ergeben sich angesichts des UN-Inspektionsregimes und der Befassung des Sicherheitsrates mit der Frage der irakischen Abrüstung durchaus deutliche Zweifel.

8. Fehlende Ermächtigung durch den Sicherheitsrat. Die zweite zentrale Möglichkeit einer legalen Gewaltanwendung im internationalen Bereich ist die Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat. Eine solche liegt zumindest in formal eindeutiger Form nicht vor. Die Resolution 1441 vom 8. November 2002 droht dem Irak bei Nichtbefolgung des revitalisierten Abrüstungsregimes zwar an, "that it will face serious consequences as a result of its continued violations of its obligations" (SRRes. 1441 (13)). Dieser Wortlaut entspricht jedoch nicht dem, der bislang üblicherweise zur Ermächtigung der UN-Mitglieder zur Anwendung militärischer Gewalt gewählt wurde. So findet sich in den entsprechenden Resolutionen zum Korea-Krieg (27. Juni 1950), zum Zweiten Golfkrieg (29. November 1990) oder selbst in der nachträglichen Kosovo-Resolution von 1999 (10. Juni 1999) jeweils die Formel, "alle notwendigen Mittel" anzuwenden. Der konkrete Ausdruck lautet "that the Members of the United Nations furnish such assistance to the Republic of Korea as may be necessary to repel the armed attack" (SRRes. 83), "to use all necessary means to uphold and implement resolution 660 (1990)" (SRRes. 678 (2)) bzw. "to establish the international security presence in Kosovo as set out (...) with all necessary means to fulfill its responsibilities" (SRRes. 1244 (7)). Die Terminologie der Resolution 1441 vermeidet demgegenüber diese (diplomatische) Klarheit und kann entsprechend nicht als direkte Ermächtigung zum Militäreinsatz betrachtet werden.

Problematisch dabei ist allenfalls, daß es sich beim Text der Resolution 1441 um einen Formelkompromiß der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ist, "der über mehrere Wochen so ausgearbeitet wurde, daß am Ende beide Parteien, auf der einen Seite die USA und Großbritannien und auf der anderen Seite Rußland, China, Frankreich, herauslesen können, was sie herauslesen wollen" (Simma, 2003a). Die Wortwahl der Resolution ermöglicht also eine Auslegung in beide Richtungen, was völkerrechtsformal nicht wünschenswert sein mag (Simma, 2003b), jedoch diplomatisch zur Erreichung einer von allen Beteiligten tragbaren Resolution notwendig erschien. Berücksichtigt man dieses Entscheidungsumfeld, was im Bereich völkerrechtlicher Kodifizierungen zum Standard der Interpretation gehört, so kann die Resolution 1441 auch dahin verstanden werden, daß sie auch kein klares Verbot der Intervention beinhaltet. Dieser Aspekt wird auch dadurch verstärkt, daß der Resolutionsvorschlag der USA, Großbritanniens und Spaniens von März 2003 vor der Abstimmung und dem erwarteten Veto Frankreichs und Rußlands mit der damit impliziten Ablehnung einer militärischen Lösung durch den Sicherheitsrat zurückgezogen wurde.

Frankreich und Rußland mußten sich bei Annahme der Resolution 1441 dennoch darüber im Klaren sein, daß sie von den USA und Großbritannien voraussichtlich als ausreichend für militärische Schritte gegen den Irak angesehen werden würde. Ihr nachträglicher Protest gegen diese Interpretation erscheint damit wenig glaubwürdig, denn um eine früher oder später zu erwartende Gewaltanwendung durch die USA und Großbritannien zu vermeiden, hätten sie sich nicht auf die Wortwahl der Resolution einlassen dürfen und bereits zu diesem Zeitpunkt von ihrem Vetorecht Gebrauch machen müssen. Sie nahmen die US-Interpretation der Resolution 1441 also quasi billigend in Kauf, was keinerlei unmittelbares Interesse oder grundsätzliche rechtliche Widerstände gegen einen Angriff auf den Irak ohne UN-Mandat verrät.

9. Eindeutige Illegalität? Aus der Sicht einer konservativen Völkerrechtsauffassung ist damit die Frage nach der Legalität der Intervention im Irak eindeutig beantwortet. Mangels einer klaren Ermächtigung der Vereinigten Staaten und ihrer Partner durch den Sicherheitsrat und aufgrund des Ausschlusses einer unmittelbaren Bedrohung, die einen Präventivkrieg zur Selbstverteidigung legitimieren würde, wäre der Angriff auf den Irak eindeutig illegal, d.h. eine "Niederlage des Völkerrechts und des internationalen Rechtsbewußtseins", polemisch ausgedrückt gar ein "organisiertes Verbrechen" (Zielcke, 2003). Dies ist auch die Position der französischen und der deutschen Regierung vom März 2003.

Unglücklicherweise ist die Völkerrechtspraxis hinsichtlich der Rolle von Sicherheitsratsbeschlüssen zur Bewahrung der internationalen Sicherheit seit dem Ende des Kalten Krieges jedoch keineswegs so völlig eindeutig. Sie weist vielmehr auf eine potentielle Weiterentwicklung des Völkerrechts hin, die letztlich auf die Möglichkeit einer indirekten Ermächtigung zur Gewaltanwendung auf der Basis existierender Sicherheitsratsresolutionen oder gar breiter interpretierter Grundsätze des Völkerrechts und der Vereinten Nationen hinweist. So wurden die bislang bestehenden Flugverbotszonen im Nord- und Südirak offenbar nicht in vergleichbarer Weise als völkerrechtswidrig betrachtet, obwohl es für sie ebenfalls keine formale Ermächtigung durch den Sicherheitsrat gibt.

Die "no fly zones" wurden im Herbst 1992 von den USA, Großbritannien und Frankreich nach Konsultationen mit Rußland etabliert, wobei als rechtliche Basis die Resolution 688 des Sicherheitsrates vom 5. April 1991 herangezogen wurde. Diese Resolution verurteilte die Unterdrückung der irakischen Zivilbevölkerung, insbesondere in den Kurdengebieten, als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in der Region und forderte den Irak zur Unterlassung dieses völkerrechtswidrigen Tuns auf. Von Gewaltanwendung ist in dieser Resolution keine Rede, sondern sie wurde auf der Basis der verschiedenen vorliegenden Irak-Resolutionen als Option der Westmächte hineininterpretiert (Blumenwitz, 1994: 8f.). Offenbar waren zwei zentrale Gegner der gegenwärtigen Intervention, Frankreich und Rußland, zum damaligen Zeitpunkt nicht der Auffassung, daß militärische Aktionen unbedingt explizit vom Sicherheitsrat erlaubt werden müssen. Es liegt entsprechend nahe zu vermuten, daß es zumindest im Fall dieser beiden Staaten weniger prinzipielle völkerrechtliche Bedenken als vielmehr machtpolitische und geopolitische Motive sind, die hinter der Opposition gegen das US-amerikanische Vorgehen stehen. Auch für die Operation "Desert Fox", die massive Bombardierung irakischer Positionen durch US-amerikanische, britische und australische Streitkräfte nach der Ausweisung der UN-Waffeninspektoren aus dem Irak 1998 erfolgte ohne weitere Konsequenzen ohne neue Resolution des Sicherheitsrates (Howard, 2003).

Im außereuropäischen Bereich gibt es ebenfalls Beispiele für internationale Gewaltanwendung ohne direkte Beteiligung des Sicherheitsrates nach dem Ende des Kalten Krieges. In den neunziger Jahren erfolgten zur Vermeidung humanitärer Katastrophen und zur Sicherung der regionalen Stabilität verschiedene militärische Interventionen der ECOWAS-Staaten im westlichen Schwarzafrika, insbesondere in den Bürgerkriegen in Liberia und Sierra Leone. In beiden Fällen lag dazu keine formelle Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat gemäß Art. 53 (1) SVN vor; die Aktionen wurden jedoch ebenfalls akzeptiert (Wedgwood, 2003).

10. Das Beispiel Kosovo. Endgültig geöffnet wurde die Büchse der Pandora der in der UN-Charta nicht vorgesehenen militärischen Gewaltanwendung ohne Mandat des Sicherheitsrates durch die bereits erwähnte Intervention der NATO im Kosovo 1999 (Pradetto, 1998; Pradetto, 1999; Paech, 2000). Angesichts der Drohung eines russischen und möglicherweise eines chinesischen Vetos gegen eine Interventionsermächtigung gegen die serbischen Truppen im Kosovo entschlossen sich die NATO-Mitgliedsstaaten, einschließlich Deutschland und Frankreich, ohne UN-Mandat militärisch einzugreifen, um eine befürchtete humanitäre Katastrophe abzuwenden. Die völkerrechtlichen Legitimationsversuche dieses Vorgehens reichten z.B. von einer Argumentation der Güterabwägung zwischen der Respektierung staatlicher Souveränität und dem Schutz der Menschenrechte als zwei Grundsätzen der Vereinten Nationen über die Behauptung eines Nothilferechts zugunsten der Albaner in Jugoslawien (etwa aufgrund einer erga-omnes-Geltung des Menschenrechtsschutzes) bis hin zum Konstrukt der "Geschäftsführung ohne Auftrag" durch die NATO aufgrund der Selbstlähmung des Sicherheitsrates (Thürer, 1999; Paech, 2000; Schöbener, 2000).

Weder der Sicherheitsrat noch der Internationale Gerichtshof (letzterer aus formalen Einwänden gegen die Klage Jugoslawiens) verurteilten die Aktionen im Nachhinein; sie wurden also von der Staatengemeinschaft zumindest hingenommen. Die Resolution 1244 des Sicherheitsrates vom 10. Juni 1999 formulierte die Bedingungen des Waffenstillstandsregimes unter UN-Mandat im Kosovo und autorisierte die Mitgliedsstaaten wie bereits erwähnt "to establish the international security presence in Kosovo as set out (...) with all necessary means to fulfill its responsibilities" (SRRes. 1244 (7)). Dazu gehörte insbesondere "deterring renewed hostilities, maintaining and where necessary enforcing a ceasefire, and ensuring the withdrawal and preventing the return into Kosovo of Federal and Republic military, police and paramilitary forces" (SRRes. 1244 (9a)), also genau das, was die NATO durch ihre Luftschläge zuvor bereits in Teilen realisiert hatte. Unabhängig von der konkreten Argumentation der Befürworter der Kosovo-Intervention stellte die NATO-Intervention 1999 damit eine geduldete Abweichung von den formal rigiden Ausnahmen vom generellen Gewaltanwendungsverbot dar, bei der ethisch-moralische Argumentationsmuster (humanitärer Interventionsgrund) die zentrale Rolle spielten.

Damit ist eine fundamentale Aufweichung des Souveränitätsgedankens des traditionellen Völkerrechts mit seinem zentralen Vorteil verbunden, solche Kategorien aus den internationalen Rechtsbeziehungen zu verdrängen und damit das ius ad bellum quasi zu "objektivieren". Dies stellt insofern einen rechtshistorischen Rückschritt dar, als mit der Wiedereinführung ethisch-moralischer Wertvorstellungen als Legitimitätsgrundlage militärischer Gewaltanwendung im Völkerrecht das Problem aufwirft, auf welcher Wertebasis Entscheidungen über die rechtliche Zulässigkeit internationaler Gewaltanwendung gefaßt werden sollen und wodurch die Legitimität der Definitionsmacht von "gerechten" Kriegsgründen außerhalb des UN-Sicherheitsrates begründet werden soll. Nicht umsonst wird die Weiterentwicklung des Völkerrechts unter dem Stichwort des eigentlich mittelalterlichen und vom modernen Völkerrecht überwundenen bellum iustum diskutiert (z.B. Spieker, 1997; Klein, 2003; Ullrich, 2003).

11. Indirekte Ermächtigung durch den Sicherheitsrat? Wendet man sich also weniger den formal-statischen als den pragmatisch-dynamischen Auffassungen des Völkerrechts zu, die auch seinen besonderen, interpretationsbetonenden Charakter im Vergleich zum innerstaatlichen Recht darstellen, so ist zu klären, ob aus den bestehenden Resolutionen des Sicherheitsrates zumindest eine indirekte, implizite Ermächtigung zu Gewaltanwendung gegen den Irak abzuleiten ist. Auch wenn die Resolution 1441 für sich genommen keine Ermächtigung zur Gewaltanwendung darstellt, droht sie dem Irak nicht nur wie gesehen bei weiterer Behinderung des Abrüstungs- und Inspektionsregimes "ernsthafte Konsequenzen" an, sondern verurteilt das irakische Verhalten als "material breach of its obligations under relevant resolutions, including resolution 687 (1991), in particular through Iraq's failure to cooperate with United Nations Inspectors and the IAEA, and to complete the actions required under paragraphs 8 to 13 of resolution 687 (1991)" (SRRes. 1441 (1)). Zusammen mit der eben dem Hinweis, daß "the Council has repeatedly warned Iraq that it will face serious consequences as a result of its continued violations of its obligations" (SRRes. 1441 (13)) und der Erinnerung daran, daß "in its resolution 687 (1991) the Council declared that a ceasefire would be based on acceptance by Iraq of he provisions of that resolution, including the obligations on Iraq contained therein" (SRRes. 1441 (Präambel)) wird dies von den USA und Großbritannien als ausreichende rechtliche Grundlage für einen Angriff auf den Irak im Falle einer erneuten unzureichenden Befolgung der Forderungen des Sicherheitsrates interpretiert.

Der Sicherheitsrat faßt in Resolution 1441 die Probleme des Abrüstungs- und Inspektionsregimes des Iraks seit 1991 (nach dem Ende des Zweiten Golfkriegs) und 1998 (nach der Ausweisung der UN-Inspekteure aus dem Irak) zusammen und stellt "the threat Iraq's non-compliance with Council resolutions and proliferation of weapons of mass destruction and long-range missiles poses to international peace and security" (SRRes. 1441 (Präambel)) fest. Darüber hinaus bedauert er, daß "Iraq has not provided an accurate, full, final, and complete disclosure, as required by resolution 687 (1991), of all aspects of its programmes to develop weapons of mass destruction and ballistic missiles with a range greater than one hundred and fifty kilometres, and of all holdings of such weapons, their components and production facilities and locations, as well as all other nuclear programmes (...)" (SRRes. 1441 (Präambel)). Ebenfalls verwiesen wird auf "the absence, since December 1998, in Iraq of international monitoring, inspection, and verification, as required by relevant resolutions, of weapons of mass destruction and ballistic missiles, in spite of the Council's repeated demands that Iraq provide immediate, unconditional, and unrestricted access to the United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission (UNMOVIC), established in resolution 1284 (1999) as the successor organization to UNSCOM, and the IAEA (...)" (SRRes. 1441 (Präambel). Entsprechend wird verfügt, daß "Iraq shall provide UNMOVIC and the IAEA immediate, unimpeded, unconditional, and unrestricted access to any and all, including underground, areas, facilities, buildings, equipment, records, and means of transport which they wish to inspect, as well as immediate, unimpeded, unrestricted, and private access to all officials and other persons whom UNMOVIC or the IAEA wish to interview (...)" (SRRes. 1441 (5)).

12. Kontinuität des völkerrechtlichen Irak-Regimes seit 1991. Voraussetzung dafür, die Resolution 1441 als Grundlage für eine indirekte Ermächtigung zur Gewaltanwendung gegenüber dem Irak zu betrachten, ist angesichts der mehrdeutigen Formulierung von SRRes. 1441 (13) die Möglichkeit, die Nichtbefolgung dieser Resolution durch den Irak an die eindeutige Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt gegen den Irak durch die Resolution 678 von 1990 (SRRes. 678 (2)) zu binden. Dagegen ließe sich zum einen das Fehlen einer direkten Verbindungslinie zwischen den beiden Resolutionen und zum anderen der lange Zeitraum anführen, der eine solches "perpetual post-war regime" ("The legal arguments...", 2003) als überholt erscheinen lassen könnte.

Der erste Punkt trifft offenbar nicht zu. Die Resolution 1441 bezieht sich wiederholt auf die Resolutionen 687 (1991) sowie 1284 (1999) und verweist außerdem explizit auf Resolution 1382 von 2001. Die Resolution 687 vom 3. April 1991 legt die Bedingungen fest, die der Irak für die Gültigkeit eines Waffenstillstandes mit den Streitkräften Kuwaits und seiner vom Sicherheitsrat ermächtigten Kooperationspartner erfüllen muß. Sie betreffen u.a. die Verpflichtung, daß "Iraq shall unconditionally accept the destruction, removal, or rendering harmless, under international supervision, of: (a) All chemical and biological weapons and all stocks of agents and all related subsystems and components and all research, development, support and manufacturing facilities threrto; (b) All ballistic missiles with a range geater than one hundred and fifty kilometres, and related major parts and repair and production facilities" (SRRes.687 (8)). Daß es sich hierbei tatsächlich um Waffenstillstandsbedingungen handelt, wird eindeutig klargemacht: "[The Security Council] declares that, upon official notification by Iraq to the Secretary-General and to the Security Council of its acceptance of the above provisions, a formal cease-fire is effective between Iraq and Kuwait and the Member States cooperating with Kuwait in accordance with resolution 678 (1990)" (SRRes. 678 (33)).

Die Resolution 1382 enthält neben verschiedenen Detailregelungen zur Änderung des "Oil for Food"-Programmes auch die Bestätigung des "commitment to a comprehensive settlement on the basis of the relevant resolutions of the Security Council, including any clarification necessary for the implementation of resolution 1284 (1999)" (SRRes. 1382 (6)). Die Resolution 1284 vom 17. Dezember 1999 etablierte als Hilfsorgan des Sicherheitsrates UNMOVIC, das die Special Commission nach SRRes. 687 (9b) ersetzen und zum Zweck der irakischen Abrüstung nach Resolution 687 ungehinderten Zugang zu allen irakischen Einrichtungen zu Inspektionszwecken erhalten sollte (SRRes. 1284 (1) bzw. (4)).

Auch die Resolution 1205 vom 5. November 1998 bezieht sich explizit auf die Waffenstillstandsbedingungen der Resolution 687. Sie verurteilt die Ausweisung der UN-Inspekteure aus dem Irak am 31. Oktober 1998 als "a flagrant violation of resolution 687 (1991) and other relevant resolutions" (SRRes. 1205 (1)), was von den USA, Großbritannien und Australien wie erwähnt ohne weitere Ermächtigung durch den Sicherheitsrat unter Rückgriff auf die SRRes. 678 (2) (über SRRes 687 (33)) unwidersprochen als Legitimation für die Operation "Desert Fox" interpretiert wurde. Hier zeigt sich erneut die Parallele zu SRRes. 1441 (1).

Faßt man diese Verbindungen zusammen, so zeigt sich, daß der UN-Sicherheitsrat wiederholt (und zusätzlich in weiteren Resolutionen) seit 1991 immer wieder die unbedingte Kooperation des Irak bei der Vernichtung seiner Massenvernichtungswaffen eingefordert hat und sich dabei stets auf die Ausgangsresolution 687 von 1991 berief, die die irakischen Abrüstungs-verpflichtungen als Bedingungen für einen Waffenstillstand im Zweiten Golfkrieg definierte und festlegte. Ganz explizit darauf verwiesen wird nochmals sowohl in Resolution 1205 (1998) und 1441 (2002). Damit ist jedoch auch der zweite Einwand, wonach dieses Regime für den Irak nach zwölf Jahren mittlerweile überholt sei, nicht stichhaltig. Die Resolution 687 etablierte unter Bezug auf die Resolution 678 tatsächlich ein "perpetual post-war regime", das durch die Resolution 1441 von 2002 nicht beendet, sondern noch einmal bekräftigt wurde. Aus einem endgültigen Kollaps dieses Regimes, etwa durch die Nichtbefolgung der Resolution 1441 läßt damit tatsächlich plausibel eine völkerrechtliche Grundlage für einen Militärschlag gegen den Irak ableiten, denn die Nichteinhaltung der Abrüstungsverpflichtungen durch den Irak ist nach wie vor ein Bruch der Bedingungen für eine Einstellung der Kampfhandlungen von 1991.

Selbst wenn man ein solches dauerhaftes Regime einschließlich der letztendlichen Charakterisierung aller Sicherheitsratsauflagen für den Irak solcherart als Waffenstillstandsbedingungen ansieht, deren Nichtbefolgung den rechtlichen Status des Zweiten Golfkrieges wiederherstellen würde, verbleibt jedoch das zentrale Problem, das gerade mit der Aufrechterhaltung des Regimes durch Anordnungen des Sicherheitsrates verbunden ist: Jede Resolution betreffend den Irak seit 1991 beinhaltet die Formel, daß der Sicherheitsrat "decides to remain seized of the matter", was letztlich bedeutet, daß sich das zentrale UN-Gremium weitere Schritte vorbehält. Unter diesen Umständen erscheint es jedoch schwierig zu argumentieren, daß die internationale Sicherheitsgefährdung durch den Irak außerhalb des Sicherheitsrates gelöst werden kann, nachdem er als einziges Organ, das allgemein völkerrechtlich bindende Beschlüsse fassen kann, dieses Verfahren an sich gezogen hat. Eng verbunden damit ist die Schwierigkeit der Feststellung eines Bruches der Resolutionen durch den Irak nach dem Einräumen einer letzten Chance durch die Resolution 1441. Wenn ein solcher Bruch nicht so eklatant war, daß er völlig eindeutig und unabweisbar den nichtdeklarierten Besitz oder die Vorbereitung von ABC-Waffen durch den Irak vor Augen führte, beispielsweise durch die Entdeckung eines Nervengaslagers oder einer Produktionsstätte für Anthraxerreger, dann konnte er nach der Resolution 1441 letztlich nur durch den Sicherheitsrat auf der Basis der Berichte der UN-Inspektoren festgestellt werden. Nachdem eine solche Eindeutigkeit jedoch weiterhin umstritten bleibt, bleibt auch bei Akzeptanz eines "perpetual post-war regime" für den Irak die militärische Intervention ohne erneute Beschlußfassung des Sicherheitsrates zumindest problematisch und erfordert letztlich wieder den Rückgriff auf o.g. Rechtsinstitute, die außerhalb oder über der Zuständigkeit des Sicherheitsrates liegen müßten.

12. Ergebnis zur Legalität des Krieges. Faßt man diese völkerrechtlichen Aspekte und Interpretationsansätze zusammen, so ergibt sich folgender Befund: Zum einen verstoßen die Militäroperationen gegen den Irak aus einer formaljuristischen Perspektive gegen das Völkerrecht, da weder eine eindeutige Selbst-verteidigungssituation, insbesondere hinsichtlich des Präventivkriegsarguments vorliegt, noch eine klare Ermächtigung zur Gewaltanwendung durch den UN-Sicherheitsrat. Dennoch erscheint der Angriff US-amerikanischer, britischer und australischer Streitkräfte aus einer weiter gefaßten Interpretation der rechtlichen Situation vertretbar, wenn man einerseits den besonderen Charakter von Massenvernichtungswaffen berücksichtigt, der die tradierten Bedingungen des Präventivkrieges als nicht mehr ausreichend erscheinen läßt und zum anderen die Völkerrechtspraxis seit dem Ende des Kalten Krieges betrachtet. Dazu gehört die stillschweigende oder nachträgliche Akzeptanz von Militärinterventionen ohne ausdrückliche Ermächtigung durch den Sicherheitsrat, insbesondere im Fall des Kosovo 1999 sowie die Hinnahme oder sogar Unterstützung ebenfalls nicht eindeutig genehmigter militärischer Operationen, wie der Etablierung der Flugverbotszonen im Nord- und Südirak 1992 und die Operation "Desert Fox" als Antwort auf die Ausweisung der UN-Inspektoren 1998, durch die zentralen Mitglieder des Sicherheitsrates. Daß ein gravierender Verstoß des Irak gegen die Abrüstungs- und Inspektionsauflagen als Bruch der Waffenstillstandsbedingungen von 1991 zu werten ist, läßt sich ebenfalls gut begründen, insbesondere deshalb, weil die verschiedenen Resolutionen des Sicherheitsrates zum Irak seit 1991 immer wieder Rückbezüge auf die Resolution 687 beinhalten, die diese Bedingungen festlegt. Ein Bruch des Waffenstillstandes zieht jedoch legalerweise die Möglichkeit der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen, zu denen die Resolution 678 von 1990 ermächtigt, nach sich.

Die bleibende Frage ist, wer den Bruch des Waffenstillstandes feststellen darf und worin ein solch eklatanter Bruch der Bedingungen von 1991 bestehen kann. In beiden Fällen wäre die Entscheidungsmacht des Sicherheitsrates gefragt gewesen; nachdem dieser jedoch zu keinem einvernehmlichen Ergebnis gekommen ist, bleibt der politischen Interpretation ein so großer Spielraum, insbesondere, was die konkrete irakische Bedrohungslage angeht, daß weder eine eindeutige völkerrechtliche Illegalität noch eine eindeutige Legalität der Operation "Iraqi Freedom" festgestellt werden kann. Der Militärschlag gegen den Irak findet also in einer rechtlichen Grauzone statt, die als Ausdruck einer nicht mehr umfassend gegebenen Angemessenheit der bisherigen Völkerrechtsregeln zum ius ad bellum oder ius contra bellum für die Gefährdungspotentiale der globalen Sicherheit nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes gesehen werden müssen. Hier ist eine deutliche Lücke im traditionellen Völkerrecht festzustellen.

13. Irakische Abrüstung als legales Ziel. Wenn man also aus dem Obenstehenden den Schluß zieht, daß die Militärintervention im Irak auch ohne neues Mandat des UN-Sicherheitsrates zumindest vertretbar, wenn auch aus völkerrechtssystematischer Sicht wenig wünschenswert ist, verbleibt die zweite Grundsatzfrage nach ihrer Zielsetzung. War die umfassende Abrüstung des Irak von Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Träger-, Unterstützungs- und Herstellungssystemen ein legales Anliegen oder kann in einem weiteren Schritt auch der Sturz des irakischen Regimes als völkerrechtskonformes Ziel angesehen werden, das von den USA und dem Vereinigte Königreich ja explizit verfolgt und realisiert worden ist?

Daß die Entwaffnung des Irak das legale Ziel einer Militäraktion war (sofern diese selbst als legal akzeptiert wird), dürfte unstrittig sein. Analog zur Frage der ungebrochenen Weitergeltung des Abrüstungs- und Inspektionsregimes seit 1991 ist klar, daß die Waffenstillstandsbedingungen der Resolution 687 über die völlige Wiederherstellung Kuwaits hinausgingen und die Vernichtung des irakischen ABC-Waffenpotentials unter internationaler Kontrolle beinhalteten. Die Resolutionen 1284 von 1999 und 1441 von 2002 haben dieses Ziel noch einmal unterstrichen.

14. Irakischer Regimewechsel als legales Ziel? Anders verhält es sich mit der Frage des Sturzes Saddam Husseins und des Baath-Regimes im Irak. Die Beseitigung einer Regierung von außen widerspricht unmittelbar dem Souveränitätsprinzip, das in Art. 2 (1) und (7) SVN niedergelegt ist. Daß der Irak trotz der verschiedenen Einschränkungen durch die Resolutionen des Sicherheitsrates seit 1990 weiterhin ein souveräner Staat ist, betont die Resolution 687 ganz explizit, indem der Sicherheitsrat "the commitment of all Member States to the sovereignty, territorial integrity and political independence of Kuwait and Iraq" bekräftigt (SRRes. 687 (Präambel)). Nachdem sich die zwischen 1991 und 2002 vorliegenden Resolutionen alle nur auf die Verpflichtung des Irak zur Abrüstung von ABC-Waffen beziehen und von einer Änderung der Regierung nicht die Rede ist, erscheint das erweiterte Ziel der Irak-Intervention als völkerrechtsinkonform, ganz abgesehen davon, daß es nach dem klassischen Völkerrecht illegal ist, zu versuchen, das Staatsoberhaupt eines souveränen Landes zu töten, wie es die USA während der Operation "Iraqi Freedom" wiederholt versucht haben.

Die Beschlußfassung des Sicherheitsrates im Koreakrieg bietet dennoch einen möglicherweise bedeutsamen Präzedenzfall, der eine legale Entmachtung des Baath-Regimes unter Saddam Hussein von außen vertretbar erscheinen lassen könnte. Die Ermächtigung zum militärischen Eingreifen der UN-Mitglieder in den Koreakrieg 1950 lautete: "[The Security Council] recommeds that the Members of the United Nations furnish such assistance to the Republic of Korea as may be necessary to repel the armed attack and to restore international peace and security in the area" (SRRes. 83). Diese Formulierung wurde in der Folgeresolution 84 vom 7. Juli 1950 wiederaufgenommen (SRRes. 84 (1)), in der den Vereinigten Staaten das Oberkommando über die Streitkräfte angetragen wurde, die von den UN-Mitgliedern zur Erfüllung der Resolution 83 zur Verfügung gestellt worden waren. Die selbe Formel findet sich auch in zwei zentralen Resolutionen in bezug auf den Irak wieder. Resolution 678 übernimmt sie in Absatz 2: "[The Security Council] authorizes Member States co-operating with the Government of Kuwait, unless Iraq on or before 15 January 1991 fully implements, as set forth in paragraph 1 above, the above-mentioned resolutions, to use all necessary means to uphold and implement resolution 660 (1990) and all subsequent relevant resolutions and to restore international peace and security in the area." Ähnlich lautet Absatz 34 der Resolution 687: "[The Security Council] decides to remain seized of the matter and to take such further steps as may be required for the implementation of the present resolution and to secure peace and security in the region."

Was bedeutet die Formulierung von SRRes. 83 nun für den Fall des Irak? Der entscheidende Punkt ist, daß die ursprüngliche Absicht des Sicherheitsrates, nämlich die Truppen Nordkoreas über die Demarkationslinie zwischen der Volksrepublik Korea und der Republik Korea, den 38. Breitengrad, zurückzuschlagen und so die Existenz Südkoreas zu sichern, im Laufe der Operationen des Sommers und Herbsts 1950 erweitert wurde - und zwar unter Hinweis auf die Aufgabe, Frieden und Sicherheit in der Region zu sichern (Lichterman, 1963). Am 27. September 1950 autorisierte Präsident Harry S. Truman nach einigem Zögern den dann am 9. Oktober 1950 erfolgenden Einmarsch in Nordkorea und die Besetzung des Landes mit dem Ziel, die Nordkoreaner völlig zu entwaffnen und die Wiedervereinigung Koreas unter demokratischen Vorzeichen vorzubereiten (Schnabel, 1992: 182ff.). "The United Nations' call for the restoration of peace and security in the area, was generally considered sufficient legal basis to enter North Korea" (Schnabel, 1992: 178).

Überträgt man diese völkerrechtliche Argumentation des Koreakrieges auf die Situation des Irak, so kann aus der damals akzeptierten Praxis von 1950 geschlossen werden, daß die Aufgabe der Friedens- und Sicherheitsgewährleistung, die gemäß der genannten Formulierung eindeutig über die reine Selbstverteidigung hinausgeht, einen so fundamentalen Einschnitt in die staatliche Souveränität des Irak durchaus sachlich erfordern und damit rechtlich legalisieren konnte. Voraussetzung hierfür ist neben einem gravierenden Bruch der Waffenstillstandbedingungen und der damit verbundenen Reaktivierung der Befugnisse der UN-Mitglieder nach Resolution 678 erstens, daß mit dem Regime Saddam Husseins keine dauerhafte regionale Sicherheitsarchitektur aufgebaut werden konnte, was angesichts der Erfahrungen seit dem Ersten Golfkrieg gerechtfertigt scheint. Zweitens dürfen der Regimewechsel und die dafür erforderliche Besetzung des Irak die grundsätzliche Souveränität und Integrität des Landes nicht beeinträchtigen. Dies bedeutet, daß die Besetzung nicht von Dauer sein und eine neue Regierung nicht einfach von außen aufoktroyiert (ohne Rückhalt und Legitimation durch das irakische Volk) werden dürfen. Außerdem - und das dürfte angesichts der problematischen Situation der Kurden und Schiiten des Irak der schwierigste Teil der Aufgabe sein - muß die territoriale Integrität des Staates gewahrt bleiben.

15. Fazit. Bei der völkerrechtlichen Einschätzung der Legalität des von den USA geführten Angriffs der "Koalition der Willigen" am 20. März 2003 stehen sich zwei grundsätzliche Sichtweisen gegenüber. Für die formaljuristisch geprägte, eher einer konservativen Auffassung der Völkerrechtslehre zuneigende Perspektive ist die Operation "Iraqi Freedom" ein eindeutiger Bruch des Völkerrechtes, da nach traditionellen Kriterien weder ein Fall von Selbstverteidigung (einschließlich der völkerrechtlich streng eingeschränkten Möglichkeit eines Präventivkrieges) noch eine eindeutige explizite Ermächtigung zur Gewaltanwendung durch den UN-Sicherheitsrat vorliegt. Demgegenüber ist nach der zweiten Auffassung, die einen wesentlich weiteren Interpretationsspielraum völkerrechtlicher Normen zuläßt, also quasi "realpolitisch" orientiert ist, ein militärisches Vorgehen gegen den Irak nach dem Bruch der Resolution 1441 als letzte ihm eingeräumte Chance zumindest rechtlich vertretbar. Dies erfordert wie gesehen jedoch den Rückgriff auf relativ komplizierte völkerrechtliche Konstruktionen bzw. auf nicht abschließend diskutierte und von einem Konsens weit entfernte Prinzipien, die in letzter Konsequenz über den Befugnissen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta stehen müßten.

Beide Positionen sind letztlich wenig befriedigend, entweder, weil sie die möglicherweise sehr dynamische Weiterentwicklung des Völkerrechts vor dem Hintergrund der neuen Bedrohungslagen internationaler Sicherheit nach dem Kalten Krieg negieren, insbesondere was das globale Gefährdungspotential durch die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, u.U. auch im Verein mit dem internationalen Terrorismus angeht, oder sie völkerrechtssystematische Probleme aufwerfen und mangels eindeutiger "objektiver" Kriterien den Weg für eine mehr oder weniger willkürliche Interventionspraxis weniger Großmächte zur Durchsetzung ihrer Interessen ebnen könnten. Darüber hinaus verbleibt auch im Fall einer prinzipiellen Völkerrechtskonformität (oder besser: Abwesenheit eines Völkerrechtsbruches) des Angriffs auf den Irak eine zentrale Legitimationsvoraussetzung großen Unsicherheiten und fundamentalen politischen Interpretationsdivergenzen unterworfen, nämlich die Feststellung, daß der Irak tatsächlich in schwerwiegender Weise gegen die Auflagen der Vereinten Nationen seit 1991 verstoßen hat, indem er unter Bruch der verschiedenen Resolutionen des Sicherheitsrates weiterhin an seiner ABC-Rüstung weitergearbeitet hat. Zumindest bis zum Beginn des Angriffes am 20. März 2003 und darüber hinaus waren die öffentlich zugänglichen Belege hierfür nicht völlig überzeugend.

Ungeachtet der konkreten völkerrechtlichen Position, die man hinsichtlich der Legalität des Krieges vertritt - und hier hat eine differenziertere Sichtweise als die einer totalen Verurteilung der USA durchaus einiges für sich -, verbleiben als zukunftsweisende Ergebnisse der gegenwärtigen Diskussion zwei zentrale Punkte zu verzeichnen. Zum einen müssen sich die internationale Politik und die Völkerrechtstheorie nunmehr dringend um klare, erweiterte Kriterien für die Legalität eines Präventivkrieges unter den modernen Bedingungen nicht konventioneller Waffentechnologien bemühen, was spätestens seit dem Sechstagekrieg 1967 eigentlich notwendig gewesen, aber bislang weitgehend aus der internationalen Agenda ausgeblendet wurde. Zum anderen erscheint es erforderlich, die Legitimationsgrundlagen etwaigen militärischen Vorgehens gegen Staaten auf der Basis von erga-omnes-Verpflichtungen gegenüber der Staatengemeinschaft, also auch möglicherweise ohne Mandat des Sicherheitsrates, klarer zu definieren als bislang geschehen. Dies ist sowohl eine Aufgabe für den wissenschaftlichen Diskurs in der Völkerrechtslehre und der Politikwissenschaft als auch für die praktische Diplomatie und Rechtsprechung, insbesondere im Rahmen der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, der UN-Vollversammlung und des IGH. Ansonsten droht mit einer weitgehenden Negierung des friedens- und sicherheitspolitischen Primats des UN-Sicherheitsrates und der verstärkten, in wachsendem Maße auch militärisch vertretenen Verbindung von letztlich westlichen Wertvorstellungen und allgemeinen völkerrechtlichen Normen der Kollaps der seit 1945 mühsam erarbeiteten (und noch immer unvollständigen) globalen Völkerrechtsordnung zur Bewahrung des Weltfriedens im Rahmen der UN.



Literatur

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